„ barbara lebt „
barbara lebt - sie sei vor 60 jahren gestorben wie alle welt glaubt
wie ich es ja beinahe selbst geglaubt habe
weil ich beinahe selbst nicht mehr an mich geglaubt habe
an mich und dass barbara lebt
aber sie lebt sie ist vor 6o jahren gestorben und sie war vielleicht vier jahre jung
vielleicht auch zwei jahre jung vielleicht auch drei jahre ich sollte es wissen
man erwartet sogar von mir dass ich es weiß wer sonst soll es wissen wenn nicht ich
wie alt barbara war als sie von mir gegangen ist aber ich weiß es nicht wie alt sie war
weil mich ihr hingehen ihr wegatmen ihr hinüberleben derart getroffen hat
bis heute nacht und alle die jahrzehnte derart getroffen hat
besonders hat mich ihr zittern und zucken getroffen
ihr am ganzen körper zittern und zucken
als sie mir in diesem fürchterlichen kranken haus zuflüsterte
ihr leben werde aus ihr herausgepresst
alles lebendige alles lebende alles leben werde aus ihr herausgepresst
unsere nächte mit unseren italienbüchern werden aus ihr herausgepresst
die tage mit mir werden aus ihr herausgepresst
unsere umarmungen
gegen regen und kälte an den kanälen werden aus ihr herausgepresst
diese föhrenwaldkindheit werde aus ihr herausgepresst
der geruch dieser einen und einzigen erdbeere werde aus ihr herausgepresst
alle die schmerzen
und die ätherfetzen der oberschwester " desd endlich schlofst "
werden aus ihr herausgepresst
und die von dieser oberschwester geöffneten fenster in diesem winter
dass es schneller gehe
" des schnölla geht "
ahmte sie flüsternd und lächelnd
lächelnd im versuch mich von dem was sie bereits wusste abzulenken
ahmte sie flüsternd diesen fürchterlichen
wederniederösterreichisch nochsteirischen dialekt
der frau oberschwester waltraud nach
und mit ihrem vor schmerzen flackernden gesicht fragte sie mich
was ist schon der geruch der ätherfetzen der frau schwester waltraud
" daß ich endlich schlafe "
was ist dieser geruch schon gegen den duft meiner einen und einzigen walderdbeere
fragte mich barbara mit ihrem mich von ihren schmerzen
von ihren offensichtlich unsagbaren schmerzen ablenken wollenden lächeln
des schnölla geht und sie endlich zum stöhnen aufhöre und endlich einschlafe
flüsterte barbara mir zu und
wie die frau oberschwester waltraud der frau pflegerin milla
heute erklärt hat wie es " schnölla geht "
und daß die frau pflegerin milla morgen sonntag
die äthertücher " übernehme des endlich schloft "
weil sie morgen frei habe die frau oberschwester waltraud
und die oberschwester waltraud hat der milla gezeigt
wie man die äthertücher auf meine barbara preßt
mit der linken hand den kopf einmal streicheln dann fest halten
und dann mit der anderen hand pressen pressen pressen
die äthertücher " des endlich schloft "
auf die nase und den mund meiner barbara
die äthertücher werden endlich aus ihr herausgepresst in diese kälte
flüsterte meine barbara
sie würde durch diese fürchterlichen
das ende und die freiheit versprechenden winterfenster
aber schon tage und wochen nie dieses versprechen einhaltenden
offenen winterfenster hinaussteigen
diese offenen winterfenster !! flüsterte sie : " ich will hinaussteigen "
wenn es ihr noch möglich wäre aus dem schwarzen eisengitterbett hinausklettern
statt hinter diesen verschlossenen kranken saaltüren hilflos liegen zu bleiben
würde sie durch die offenen winterfenster klettern
wenn es sein muss auf allen vieren flüsterte sie mir zu
mit ihrem mich trösten wollenden und
doch die schmerzen nicht mehr verbergen könnenden lächeln
aus dem fenster klettern und über die triesterstrasse
und in die schubertgasse und über die bahngleise in den föhrenwald hinein
und über den semmering nach kindberg mit seinem maibaum
und dann nach arnoldstein
zum übernachten im stall vom wirtshaus wallner
und dann schnell nach italien
wenn es ihr körperlich also vom kopf und von den augen her noch möglich wäre
flüsterte sie in meinen - das ich ihr gesicht besser sehen kann
meinen auf ihre sauerstoffmaske gepressten mund
alle diese kindheiten werden aus ihr herausgepresst
diese schreckliche ungeheuerliche niederösterreichische provinzkindheit
diese kleinstädte mit ihren kranken häusern
diese bürger mit ihren nach unten zeigenden mundwinkel
die bürger in ihren fenstern auf ihre polster gelehnt
ihre herunterhängenden mundwinkel
siehst du ihren bösen blick ? stöhnte meine barbara in mein gesicht
ich war bis heute nacht von ihrem zittern getroffen
vom anblick ihrer sauerstoffmaske getroffen von ihrem flüstern zu mir
durch diese sauerstoffmaske hindurch getroffen vom flackern ihrer augen
von ihren zunehmend rissigen lippen getroffen
und getroffen von ihren nach und nach ausfallenden zähnen
und getroffen von ihren im bett liegenden haarbüscheln
getroffen von ihren hervorstehenden gelenken
dass ich an ihrem gitterbett zu zittern begann und mich in meinem zittern
über meine plötzlich immer ruhiger werdende barbara beugte
und ihre sauerstoffmaske anhob und mit meinem speichel
ihre unsagbar trockenen und rissigen lippen befeuchtete
und meine barbara umarmte und umklammerte und dabei derart zitterte
dass der mittlerweile beinahe ruhende körper
meiner barbara mit meinem körper wieder und wieder
und mit mir in einem erzitterte
und aus unserem zittern wurde ein einziges beben
und als ich vor erschöpfung nicht mehr zittern konnte
habe ich dann mit meinen sieben jahren geglaubt - dass barbara nun endlich schlafe
barbara lebt - seit heute nacht weiß ich es endlich und endgültig - barbara lebt
sie ist mir zu fuß entgegengekommen in der dämmerung entgegengekommen
am ufer eines dieser fürchterlichen kanäle entgegengekommen
war es dieser brevillier urban kanal oder der schöller bleckmann kanal
der semperitkanal oder der spinnerei rohrbach kanal
mit den grünvioletten toten flusskrebsen am kanalrand
welcher dieser fürchterlichen kanäle auch immer und
es waren noch weitere kinder um meine barbara
der dinhobel franzi mit seinen frischen blauen onkelrudiflecken am kopf
meine siebenjährige frau die grotz maria und du unser kind unser barbarakind
das immer brav im leiterwagen warten musste
bis ich aus dem dürrngraben einen erlegten bären heimbrachte
und meine frau die grotz maria den bären kochte
und du endlich gefüttert werden konntest
armes im leiterwagen so lange wartendes hungriges barbarakind
und du bist heute nacht angekommen
in der mitte aller kinder angekommen
und bist mir lächelnd entgegengekommen
und hast sehr leise in mein ohr gesagt dass es dir noch immer leid tue
dass dir damals der schwere schnitzelklopfer aus deiner kleinen hand gefallen sei
direkt auf meine nackten füsse am kalten küchenboden in der triesterstrasse
und dass es dir auch noch besonders leid tue
dass du damals in diesem fasching im spaß und voller freude
als du noch ohne augen- und kopfschmerzen lachen und lächeln konntest
den tönernen harztopf vom baum im föhrenwald gehoben hast
dieser föhrenwald in den ich dich täglich mit unserem
selbstgebauten leiterwagen hineingezogen habe
unserem opel kapitän unserem lincoln continental
wie ich unseren leiterwagen immer nannte
ich wusste ja mit meinen sieben jahren nur von zwei automarken
opel kapitän und lincoln continental
und natürlich der grüne puchroller
mit dem ich manchmal
heimlich die triesterstrasse rauf und runter fuhr
natürlich stehend weil sonst die fußbremse nicht erreichbar
dieser föhrenwald der mir und meiner schwester barbara
in diesem februar in diesem fasching der auf einmal doch keiner mehr war
als ihr elend von einer nacht in die andere und in den tag hinein begann
als sie auf einmal beim haareschneiden beim triesterstrassenfriseur pecina
vor schmerzen schrie und ich nicht wissen konnte warum
als uns der föhrenwald diese eine und einzige walderdbeere
hervorgebracht und geschenkt hat
statt wie sonst wenn ende juni mitte juli die walderdbeeren reifen
fand meine barbara bereits in den ersten febertagen
diese erste und einzige walderdbeere
an der biegung des johannesbach beim oberen schwarzwirt hinter sankt ägiden
als wollte der wald es soll sein letztes geschenk sein
rot und reif
und ich pflückte diese eine walderdbeere
und legte diese walderdbeere sehr vorsichtig
in die kleine hand meiner barbara die mir lehrte
dass bereits eine einzige walderdbeere eine grosse kanne
zum riechen - zum riechen nach tausenden walderbeeren bringen kann
zum riechen nach einer vollen kanne walderdbeeren bringen kann
und eine hand zum riechen bringen kann
diese von barbara und von mir im letzten sommer stunden - und tagelang
gesammelten erdbeervollen weissen zweiliter emaill milchkannen
zwei liter walderdbeerenkannen die wir in diesem letzten sommer
bei der triesterstrassenmilchfrau wesely
gegen ein kleines caterina valente abziehbild eingetauscht haben
mit unseren roten knien diesen erdbeerknien
diesen aufgeschürften föhrenwaldknien
was für ein teurer eintausch
und um mir den teuren eintausch vergessen zu machen
sangst du unser föhrenwaldlied
als du und noch ohne schmerzen
caterina valente nachahmen konntest
mit vier jahren bereits ihre lieder singen konntest
mit italienisch deutschem caterina valente akzent und mit augenaufschlag
als du und noch ohne schmerzen
einen schlagersängerinnenaugenaufschlag
den schlagerinnensängerinnenaugenaufschlag
diesen einen und einzigartigen augenaufschlag imitieren konntest
" komm ein bisschen mit nach italien "
dieses caterina valente pickerl
das mir meine barbara in liebe und als ganz grosses geschenk
an meinem ersten schultag in mein erstes blaues ursus schulheft eingeklebt hat
und das mir von meinen nazilehrern und nazilehrerinnen weggenommen wurde
danke herr lehrer schlögl guten morgen frau lehrer reitmeier
grüß gott herr lehrer zohmann
guten tag frau lehrer kirisits vergelts gott herr lehrer siderits
bitte frau lehrer lautsch
entschuldigung herr lehrer novak darf ich aufs klo frau lehrer novak
bitte frau lehrer
weggenommen wurde und mir
bereits am zweiten schultag meine erste klassenbucheintragung eingebracht hat
und meinen ersten fünfer eingebracht hat
wir werden dir zeigen das du ein schulheft nicht zu beschmutzen hast
schon gar nicht mit katzelmacherbildern
glaub nicht das du was besonderes bist du und deine schwester
wir werden dir schon zeigen wo du hingehörst
freu dich nicht zu früh
noch heute barbara danke ich dir für dein mich lehren
wie ich alle diese sätze in mir verbrennen kann
alles zu jederzeit und überall verbrennen kann
vergessen alle diese sätze freu dich nicht zu früh
verbrennen und vergessen alle diese sätze aus dir wird nie was
verbrennen diese sätze du wirst noch in der baumschule landen
ach wäre ich doch in der baumschule gelandet
ich würde dir heute einen park erbauen
einen amselpark einen erdbeerpark einen wasserpark
einen engelpark einen barbaraengelpark einen bärbelengelpark
einen feenpark einen faunenpark einen pinienpark einen palmenpark gestalten
mit meinem neuen unerhörten baumschulwissen und baumschulkönnen
italienische parks mit tausenden
tuguri
noch heute danke ich dir für dein mich lehren
wie eine einzige erdbeere in einer zweiliterkanne riecht
wie eine einzige walderdbeere in deiner hand riecht
deine kleine erdbeerhand
wie du mich gelehrt hast zu verbrennen zu riechen und zu sehen
diese eine erdbeere dieses harz am baum riechen
diesen warmen flaum der amseln in den leeren harztopfnestern sehen lernen
diesen noch warmen amselflaum fühlen lernen
das amselnest riechen gelernt
alles fühlen alles riechen gelernt
in deinem gesicht den geruch des ätherfetzens riechen gelernt
die kreide riechen gelernt die ich dir heimlich aus der schule mitbrachte
in deiner kleinen hand die walderdbeere riechen gelernt
immer alles und in allem riechen gelernt
alles verbrennen gelernt alles vergessen gelernt alles sehen gelernt alles lieben gelernt
amseln lieben gelernt amselflaumwärme lieben gelernt mich meinen mut gelernt
mich meine ohnmacht vergessen gelernt stattdessen alles verbrennen gelernt
selbst noch mit schmerzenden barbaraaugen mich alles sehen gelernt
und meine barbara beugte sich an diesem kalten februartag
über ihre kleine geöffnete hand
diese kleine weiche hand mit dieser einen walderdbeere und flüsterte
erde riecht
es tue dir leid sagtest du heute nacht zu mir dass du dir
diesen harztopf als faschingskinderhut
fröhlich gemeint auf deinen kopf gesetzt hast
und dass dir das frische föhrenharz über den kopf
und über deine blonden haare geronnen und geflossen sei
es tue dir leid dass du mir mit deinen harzhaaren
mit deinem nunmehrigen harzkopf soviel angst gemacht hast
dass ich dich auf einen baumstamm gesetzt habe
und in dieser angst zur triesterstrassenküche gelaufen sei
und aus der schublade die grosse schere genommen habe
diese fürchterliche grosse schere
die meiner barbara und mir seit wie lange schon
immer nur als selbstmordschere bekannt war
und dann mit dieser unsagbaren schere in den föhrenwald zurück
und habe die haare meiner barbara und zwar alle abgeschnitten
weil wir beide gedacht haben
wir könnten uns mit diesem harzkopf nicht sehen lassen
„ zuhause „ wie meine barbara immer sagte nie mehr sehen lassen
meine barbara sagte immer noch " zuhause "
als es mir schon lange nicht mehr gelang von einem " zuhause " zu sprechen
noch heute danke ich dir für dein wort vom " zuhause "
durch dieses von dir geschaffene wort habe ich eine ahnung
oder soll ich sagen sehnsucht
von einem " zuhause " bekommen von einem zuhause das es nie gegeben hat
ich wollte kein zuhause suchen das es nicht gibt
und doch hast du mir ein zuhause gezeigt das ein zuhause sein könnte
oder sein hätte können
auf den knien danke ich dir dass du alle diese worte von der erde die riecht
und besonders dieses eine zuhausewort in mein gesicht geflüstert hast
und vor allem dieses zweite wort : i t a l i e n
dieses italien das in unseren kinderbuchträumen immer so gut zu uns gewesen ist
das du immer dieses eine wort in mein gesicht geflüstert hast
an deinem kranken bett in mein gesicht geflüstert hast
immer und überall und behutsam
alle die letzten stunden und tage und wochen und monate
zärtlich in mein gesicht flüsternd sagtest du
bitte lass mich gehen bitte gehen sagtest du gehen gehen gehen
in unserem wald sagtest du wir könnten uns mit diesem harzkopf
" zuhause " nicht sehen lassen
mit deinem haarlosen harzkopf und meinem verschwitzten dunkelroten
und sofort wieder kreideweissen nein ascheweissen gesicht
" zuhause " nicht sehen lassen
weil dann sicher und sofort wieder
die angstschere aus der küchenschublade
in die selbstmordhände gekommen wäre
unsere ängste anzündenden zitternden selbstmordhände
und seit dieser heutigen nacht in der barbara mir beinahe verlegen und schüchtern
die sache mit dem schnitzelklopfer und dem harztopf und mit dem harzkopf
in mein gesicht und in mein ohr geflüstert hat
seit dieser nacht weiß ich dass barbara lebt
ich weiß auch dass ich zu weinen begonnen habe
vor freude heute nacht zu weinen begonnen habe
vor freude über unser wiedersehen vor freude über barbara und mich
und ich habe - es war vier uhr fünf und vierzig
immer wenn ich besonderes erlebe oder zu leben oder zu sterben beginne
ist es und zwar exact vier uhr und fünf und vierzig minuten nachts
da kann sein was es will
und ich habe ihre abgeschnittenen haare aus meiner sechzig jahre alten
blechscple herausgenommen und an meine wangen gehalten
und ich habe meiner barbara gesagt dass mich noch nie wie ich heute weiß
noch nie in meinem ganzen langen leben ein schmerz in stolz und glück
und eine todesangst in eine liebe und einen lebenssinn hineingeführt haben
wie damals der schmerz ihres herabfallenden schnitzelklopfers
auf meine nackten zehen
und wie damals diese todesangst vor unserem „ zuhause „
im angesicht des verharzten kopfes meiner kleinen barbara
und wie damals und bis heute dieser lebenssinn
mit diesem barbarawort von der erde - die riecht
und mit deinem lächeln und deinem barbarawort :
gehen gehen gehen
wie du immer und alles und behutsam in mein gesicht geflüstert hast
und dein italien und mein italien und unser italien in mein gesicht geflüstert hast
das gesamte italien das uns immer so gewogen war
das immer so gut zu uns war in unseren träumen
wie du das gesamte italien in mein gesicht geflüstert hast
in dein und mein glückliches gesicht geflüstert hast
und ich dir in dein weisses gesicht geflüstert habe
an deinem toten bett in diesem kranken haus versprochen habe
ich hebe dich aus diesem schwarzen eisengitterbett heraus
ich hebe dich aus diesem offenen fenster hinaus
und wir gehen nach italien wohin sonst
in unser italien unser kinderbuchitalien
wir werden ganz einfach in den tuguri schlafen wenn es dunkel wird
und dann gehen wir zu unserem kleinen antonio nach rom
der seinen esel auf dem er touristen reiten lässt
nicht mehr durchfüttern kann weil das geld trotz allem nicht reicht
und dem der stall genommen dem sein tugurio in travestere genommen wird
wegen diesem unsagbar traurigen neuen stadtteil
diesem unendlich neuen traurigen quarticciolo
und wir geben ihm unser vorletztes geld
auf unserem fußweg durch unser italien
das immer so gut war zu uns
und dann mit unserem letzten geld und zu fuß
über die basilicata durch den cilento nach pizzo auf ein eis
zu don pippo de maria auf ein eis
zu diesem wunderbaren und einzigartigen und erfinderischen
don pippo de maria
wie alle italienischen kinder irgenwann in ihrem leben
nach pizzo und zu don pippo di maria auf ein eis gehen wohin sonst sagtest du
wohin sonst sagtest du gehen wir föhrenwaldkinder
weißt du noch dein letztes lächeln als ich für dich noch langsamer flüsterte
d o n p i p p o d e m a r i a
alles meiner barbara versprochen alles die jahre gesagt alles geflüstert
alles barbara vorgelesen
in allen diesen triesterstrassennächten diesen italienischen träumen
diesen kinderbüchern mit diesem italien diesen antonios und ihren eseln
diesen eismachern diesen don pippos de maria dieser schmerz diese angst und diese worte habe ich meiner barbara heute nacht um
vier uhr fünfundvierzig
gesagt haben mich damals in die liebe und in ein glück
und in einen sinn hineingeführt um 4 h 45
und in einen unerhörten siebenjährigen bubenstolz hineingeführt
stolz dass ich ihre haare und ihren harzigen kopf ( und meinen kopf ) gerettet habe
und stolz dass ich diesen schmerz in meinen zehen
so tapfer ertragen habe - und glücklich über die kraft die ich spüre
und die es erfordern würde
mit der ich meine barbara - wenn es denn endlich
und vor unseren entsetzten geöffneten augen
wenn es denn so weit gewesen wäre
mit dem anblick des selbstmordes durch diese selbstmordschere
dass ich sie sicher
vor diesem anblick mit aller kraft bewahrt hätte
jede nacht in meinen langen nächten
durchgespielt und genauestens durchprobiert und durchgeführt
in gedanken und wachträumend penibel vorbereitet
in meinem bett mit meinen sieben jahren immer mehr meine kraft spürend
wie ich mich auf meine barbara werfe und meine barbara
mit dem gesicht nach unten zu boden werfe
sei der auch noch so hart sei der auch noch so kalt
der triesterstrassenküchenbetonboden
und wie ich meiner barbara mit aller kraft
meine kleinen siebenjahrehände auf ihr gesicht und auf ihre augen presse
um ihr den anblick zu ersparen
und wie ich ihr zur letzten ablenkung ein caterina valente lied
d a s caterina valente lied unendlich laut zu singen beginne
ein schiff wird kommen
und ich werde sie anschreien
um ihr das geräusch der sich schließenden schere zu ersparen
und es bringt dir den einen
den du so liebst wie keinen
um meine barbara vor dem scherenselbstmordanblick
und vor dem scherenselbstmordgeräusch zu bewahren
und : immer immer immer davor bewahren werde
alles das habe ich meiner barbara heute nacht zugeflüstert
auch dass mir so etwas wie eine atemlose trauer geblieben sei
vielleicht auch eine trauernde atemlosigkeit
dass ich dich damals in dieser krankenhausnacht mit den offenen fenstern
und an deinem elenden kalten vereisten bett
mit diesem elenden schmierigen weissen rauhreif
auf deiner eisbettdecke und dem kaltharten leintuch
nicht doch habe bewahren können
vor den oberschwestern dieser welt mit all ihren ätherfetzen
und mit meinem hämmernden herzen nicht retten habe können
nicht verstehen habe können deinen satz
ichgehejetztzuhause
nicht stehen nicht aufstehen nicht auferstehen helfen habe können
nicht gehen nicht weggehen habe helfen können
und vor allem in meiner so alten siebenjährigen wundgeschwiegenheit
keine antwort auf deine frage gewusst habe
" warum nur ein bisschen mitkommen nach italien "
zitternd an deinem kranken bett keine antwort gewusst wieder keine
aber heute nacht - aufstehen und durch das geöffnete fenster hinaus in die welt
in die welt hinter den kranken häusern
mit diesem endlich aufstehen auferstehen
mit diesem hämmern in meinem herzen
hat mich alles in dieser nacht in das aufstehen auferstehen
in eine antwort unsere antwort
und in die liebe geführt in die liebe und zwar für immer
wie bereits damals
mit deinen abgeschnittenen langen blonden harzhaaren
und der selbstmordschere in der linken hand
und mit dir barbara an der anderen hand
beinahe schon furchtlos mit unseren verschwitzten gesichtern
beinahe schon stolz
die alten bröckelnden roten ziegelstufen zu unserem „ zuhause „ hinaufsteigend
haben wir uns damals hand in hand bereits damals
in eine immerwährende liebe und in eine antwort hineingeführt
an jenem winternachmittag - in der kalten triesterstrassenküche
das habe ich heute nacht meiner barbara zugeflüstert
mit meinen tränen
- ende -
teil II :
übernächster eintrag : triesterstrasse 52 der liebe wegen